Streckenflug



Streckensegelflug ist Fliegen in seiner ausgeprägtesten Form. Der Streckensegelflug erscheint dem nicht eingeweihten Betrachter wenig spektakulär, weil man ihn nicht mit bloßem Auge verfolgen kann. Der erfolgreiche Streckenflieger steigt nämlich nach dem Start an der Winde oder hinter dem Motorflugzeug so rasch wie möglich – im thermischen Aufwind kreisend - auf seine Abflughöhe und entschwindet nach seinem Abflug vom Platz schnell dem Auge des Betrachters.

Nach geflogener Strecke landet er normaler Weise ohne große Aufregung wieder auf seinem Flugplatz. In der Zwischenzeit hat sich der Streckenflieger aber weit vom Flugplatz entfernt und viele Kilometer geflogen. Diese Form des Segelflugs erfordert vom Piloten die perfekte Beherrschung des Flugzeugs, die richtige Einschätzung des Wetters und eine präzise Navigation. Beim Streckensegelflug geht es darum, möglichst weite Strecken oder bestimmte Strecken in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen. Unser »Treibstoff« ist dabei alleine die Sonnenenergie, die wir in Form aufsteigender warmer Luftmassen (Thermikblasen) zum Höhengewinn nutzen. Die gewonnene Höhe gleiten wir im Vorwärtsflug ab, wobei die Größe der zurückzulegenden Strecke unter anderem von den Leistungsdaten des jeweiligen Flugzeugs abhängt.

Wir haben im Verein mehrere Flugzeuge mit Gleitverhältnissen von rund 1:40 und mehr, so dass jeder Meter Höhe (jedenfalls theoretisch) eine Flugstrecke von 40 m ergibt. Die in unserer Gegend durch thermische Aufwinde zu erfliegenden Höhen betragen im Normalfall zwischen 1.000 m und 2.5000 m, so dass sich ganz ordentliche Gleitstrecken ergeben. An den Wochenenden zwischen März und August/September fliegen die Piloten unseres Vereins viele Strecken von 200 km bis hin zu 600 km. Unsere dabei geflogenen Durchschnittsgeschwindigkeiten reichen von 30 km/h bis hin zu 100 km/h.

Streckenflug wird im allgemeinen als Wettbewerbssport betrieben, bei uns aktiv in Form dezentraler Wettbewerbe, bei denen die Flüge über das Internet gemeldet und national oder international gewertet werden. Dabei melden wir die Flüge sowohl zur »Deutschen Meisterschaft im Streckensegelflug« DMSt als auch zur Bundesliga. Während es bei der DMSt darum geht, möglichst weite Strecken zu fliegen, geht es bei der Bundesliga vor allem um die Geschwindigkeit, die während des Fluges erreicht wird. In den letzten Jahren meldeten wir immer weit über 100 Flüge pro Saison und erreichten dabei gute Plätze im oberen Drittel der Tabellen. Die Auswertungen finden sich im Internet beispielsweise unter:
www.segelflug.de/dmst.html

Die Aufzeichnung der zur Meldung in den Meisterschaften erforderlichen Flugdaten erfolgt heute ebenso wie die Navigation anhand der Daten der Satellitennavigationssysteme. Durch den Einsatz dieser System wurde der Streckenflug in den letzten Jahren deutlich einfacher, leicht ist er immer noch nicht. Er verlangt vom Piloten eine Kondition, die es ihm erlaubt, bis zu 8 Stunden (und auch länger) mit höchster Konzentration zu fliegen. Der Pilot muss während des Fluges permanent Entscheidungen treffen, ohne genaue Informationen zu haben. Wo gibt es Aufwind, welches Wetter erwartet ihn, welche Strecke ist die beste, welche Wolke verspricht die stärkste Thermik? Wann kann er sich auf Weg nach Hause machen, ohne dass er noch Thermik benötigt?

Warum macht man so etwas? Zum einen ist Segelfliegen ein Hobby, in das man sich gerne einbringt. Zum anderen hat aber gerade der Streckensegelflug seine eigene Faszination, die einen nicht wieder los lässt. Das Abenteuer beginnt in dem Moment, in dem man sich so weit von seinem Heimatflugplatz entfernt hat, dass die vorhandene Höhe nicht mehr ausreicht, um im Gleitflug zurück zu kommen. Ab jetzt braucht man zusätzlichen Höhengewinn, um die nächsten Strecken zu fliegen. Man fliegt über teils neues, teils aber auch bekanntes Gelände und weiß nie ganz genau, ob das Wetter hält, was es versprochen hat. Vielleicht trifft man eine falsche taktische Entscheidung und erreicht das gesteckte Ziel nicht. Dann muss man doch auf einem Acker landen und durch seine Rückholer abgeholt werden. Wie entspannend dann auf dem Rückweg der Moment ist, in dem einem die Instrumente und die eigene Erfahrungen sagen, dass man jetzt ohne weiteren Höhengewinn den Heimatplatz erreichen kann, kann nur nachempfinden, wer selbst Streckensegelflug betreibt. Wenn dann der Endanflug sich noch über eine Strecke von 40 oder 50 km erstreckt und man diesen langen Weg nur noch abrutschen muss, war der Tag wieder einmal perfekt.

Strecken fliegen kann jeder Pilot. Die erste Strecke von 50 km fliegt man zum Erwerb des Pilotenscheins. Wenn man dan auf den Geschmack gekommen ist, gilt wie in allen anderen Bereichen auch: Übung macht den Meister.

Heiner Berstermann, Sportleiter, Januar 2009